Verräterische Pfotenabdrücke

Nun war ich schon den halben Tage damit beschäftigt die Küche auszumalen. Obwohl ich mich in alte Kleider gehüllt hatte und eine Papiermütze trug, war ich über und über mit weißer Farbe bedeckt. Ich freute mich schon auf die Badewanne und darauf, mich von oben bis unten gründlich zu säubern… Aber noch war es nicht so weit. Ein Stück der Decke harrte noch meiner Bearbeitung. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war gleich 15:00 Uhr, und da wollte ich mir zur Motivation noch einen Kaffee gönnen. Den hatte ich mir redlich verdient, dachte ich mir. Ich zog die alten, weiß verfärbten Arbeitsschuhe aus und ging barfuß ins Wohnzimmer.

Dort stand nun die Kaffeemaschine, provisorisch, bis wir die Küche wieder einräumen konnten. Ich setze mich vorsichtig auf einen Stuhl, den ich mit einer Folie abgedeckt hatte, um ihn nicht mit der Farbe zu verunreinigen. Der Kaffee schmeckte mir ausgezeichnet, es war die erste Tasse an diesem Tag, und außerdem las ich mir noch eine SMS durch, die mir mein Freund von der Arbeit aus geschickt hatte: Ich denke an dich, halt durch! Alles Liebe… Fein, er dachte an mich und hielt mir in Gedanken womöglich den Pinsel mit der Farbe hin. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sich die Katzen den ganzen Tag noch nicht viel blicken hatten lassen. Wahrscheinlich genossen sie das warme Wetter draußen und lagen hinter dem Haus in der Sonne. Oder der intensive Geruch der Farbe schreckte sie ab. Vielleicht auch beides. Abgesehen davon, musste ich mich jetzt wieder an die Arbeit machen. Sonst würde ich nie fertig werden…

Ich tapste wieder vorsichtig und barfuß zurück in die Küche – und traute meinen Auen kaum. Der Eimer mit der Farbe lag umgekippt auf dem Boden, und die Farbe hatte sich über eine kleine Fläche ergossen. Gott sei Dank hatte sich nicht mehr viel Farbe in dem Eimer befunden, was aber nichts daran änderte, dass ich im ersten Schreck die Hände zusammen schlug und einen nicht druckreifen Fluch von mir gab. Wie hatte das nur passieren können! ging mir immer wieder durch den Kopf. Es war doch niemand hier gewesen, versuchte ich mir zu vergegenwärtigen. Meine Eltern werkten seit Stunden im Garten, die hätte ich außerdem gehört, wenn sie hereingekommen wären. Und meinem Bruder schlugen am Tennisplatz des Ortes, in einem Vereinsmatch, die Bälle um die Ohren – und außerdem würde niemand von uns absichtlich die Farbe umleeren.

Aber all mein Ärger änderte nichts. Ich wischte die Farbe auf, was mich noch einmal eine Viertelstunde Zeit kostete, dann rief mich ein dringendes Bedürfnis auf die Toilette… Ich verließ die Küche, trat in den Flur und erstarrte. Weiße Pfotenabdrücke zeichneten sich auf dem Läufer ab. Ich folgte dieser Spur mit offenen Mund und fand im Stiegenhaus, in seiner Schachtel, unseren Stocki vor: genüsslich eingerollt, aber mit unnatürlich weißer Schwanzspitze. Ich kraulte ihm das Fell, da drehte er sich auf den Rücken und zeigte mir seinen Bauch. Ich griff nach einer seiner Pfoten, dann nach der anderen… Schließlich musste ich grinsen. Stockis Pfoten waren alle vier weiß von der Farbe – ein lupenreiner Beweis. Leugnen wäre zwecklos gewesen…

Stocki bestritt auch gar nichts, er begann zu schnurren, um sich mit dem Ankläger, nämlich mir, gut zu stellen. Der „Tathergang“ war nicht schwer zu rekonstruieren. Mein Vater gab später zu, dass er „in der fraglichen Zeit“ dem Kater die Haustür geöffnet hatte, natürlich im besten Glauben, weil Stocki so miaut hatte. Die Schüsseln waren aber durch unsere Susi – die am Morgen einen ziemlichen Appetit verspürt hatte – schon leer gefressen worden. Darauf hin war Stocki in die Küche gelaufen, aber ich war gerade im Wohnzimmer gesessen und hatte ihn nicht bemerkt. Auf der Suche nach Essbarem war der Kater mit den Vorderpfoten auf den Farbeimer gesprungen, um hineinzusehen. Aber der Eimer war durch sein beachtliches Gewicht umgekippt und Stocki war plötzlich in einem kleinen Farbsee gestanden – er ergriff die Flucht, hinterließ aber die Pfotenabdrücke, die ihn sofort überführten.

Stocki bekam ein mildes Urteil. Nachdem ich endlich fertig war mit der ganzen Arbeit und mich gebadet und umgezogen hatte, streichelte ich ihn sanft und erläuterte ihm mit erhobenem Zeigefinger, er möge nicht immer so verfressen sein. Und seine Nase nicht in alles stecken… Stocki machte die Augen zu und begann leise zu schnurren. Ich fürchte, diese Strafe hat keinen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen…

(C) Vivienne

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