Ohne Zweifel stellte unsere kleine Susi eine große Belastung im Leben unseres Katers Stocki dar. Der Feuerrote kam nur mehr zum Fressen ins Haus und sobald er die Kleine nur sah, sträubte sich schon sein Fell und er lief sofort zur Tür um hinausgelassen zu werden. Fast zwei Wochen mussten wir diesem Tun untätig zusehen, bis der ständige Regen in diesem Fall doch auch sein Gutes hatte. Stocki saß eines Abends völlig nass vor der Haustür. Mein Bruder holte ihn herein, fütterte ihn und rubbelte ihn dann trocken. Schließlich steckte er den Kater in seine Schachtel und stellte sie ins Wohnzimmer. Stocki ließ sich diese Behandlung gerne gefallen, zum ersten Mal seitdem Susi bei uns eingezogen war, schnurrte er wieder.
Das Spiel wiederholte sich in der folgenden Woche oft mehrfach am Tag. Stocki kam nass zu uns herein, fraß und trank ausgiebig, ließ sich trocken reiben und streicheln, dann begann er zu schnurren und rollte sich in der Schachtel ein. Susi liebte er trotzdem nicht mehr als zuvor, aber mittlerweile ignorierte er das Kätzchen, solange es ihn in Ruhe ließ. Seine huldvolle Majestät übten sich gnädiger Herablassung und gestatteten dem Eindringling die friedliche Koexistenz. Leider hielt sich Susi selber nur bedingt daran – sie war ein überaus munteres Kätzchen und ihren Spieltrieb ließ sie nicht nur am Katzenspielzeug aus, das ich ihr kürzlich besorgt hatte. Kein Spielzeug ist so toll wie das echte Leben!
Stocki war ihr liebstes Angriffziel geworden. Wenn der Rote vor der Futterschale saß und fraß, hatte er selten Ruhe vor der Kleinen. Stocki hatte nämlich einen sehr langen rotweiß geringelten Schwanz, und die Spitze dieses Schwanzes zuckte gerne, wenn eri in Whiskas oder Trockenfutter schwelgte oder Milch schlürfte. Dieses Zucken übte eine magische Anziehung auf Susi aus. Sie begann den Kater regelrecht zu belagern, wenn er beim Fressen war und ehrlich gesagt, es war einerseits eine Freude ihr und ihrem Raubtiertrieb zuzusehen: wie sie sich anschlich an Stocki, dabei ganz geschickt oft Schuhe oder den Raucherstuhl meines Vaters als Deckung benutzte, um schließlich blitzschnell vorzuspringen und den Kater in den Schwanz zu beißen. Das Prozedere war jedes Mal dasselbe:
Stocki knurrte, ohrfeigte die Katze, so weit er sie erwischte, und fuhr schließlich mit seiner Mahlzeit fort. Auch Susis Verhalten folgte jedes Mal dem gleichen Schema: sie versteckte sich für ein paar Minuten, aber ehe man es versah, schlich sie sich wieder an den Kater heran. Das Ziel erneut die zuckende Schwanzspitze des Katers. Stocki wurde es dann meistens irgendwann zu bunt. Mit aufgerichtetem Schweif flüchtete er vor ihr aus dem Haus. Immerhin ließ er sich trotzdem regelmäßig bei uns blicken, schnurrte fast wie in alten Zeiten und ließ sich streicheln und verwöhnen. Aber Susi würde er wohl nie wirklich akzeptieren, und ich war davon überzeugt, dass er ihr draußen bald ebenso auflauern würde wie seiner Mutter um ihr den einen oder anderen Prankenhieb zu verpassen.
Seit dem Tod seiner Mutter musste er sich ohnedies immer wieder mit fremden Katzen auf unserem Grundstück herumschlagen, die offenbar jetzt Anspruch auf diesen Besitz erhoben. Morgens konnte ich diese Samtpfoter bisweilen beobachten, wenn sie vor mir reiß aus nahmen. Den Kater des Nachbarn vis-à-vis etwa oder ganz fremde Katzen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Offenbar hatte Minki großes Ansehen genossen in unserer Katzenwelt und nun tobten Revierkämpfe, von denen Stocki unmittelbar betroffen war. Für ihn war es wohl das Schlimmste, dass er mit Susi quasi den Feind im eigenen Haus hatte. Die Kleine machte ihm das Leben nicht leichter, und Unterstützung würde sie ihm wohl auch keine sein. Im Gegenteil, sie würde noch mehr Kater aus der ganzen Gegend anziehen.
Da verstand ich es, dass er ihr neulich Abend einen solchen Prankenhieb versetzte, dass sie ausnahmsweise einmal selber miaute und sich dann den ganzen Abend unter dem Rauchersessel meines Vaters versteckte. In ihrem jugendlichen Übermut würde sie das rasch wieder wegstecken, das war mir klar, und wenn sie erst einmal ausgewachsen war, würde auch der Spieltrieb nachlassen bzw. sich nicht notwendigerweise nur auf die Schwanzspitze des Katers konzentrieren. Immerhin sah es so aus, als würde Susi einmal eine gute Jägerin werden – so geschickt wie sie jetzt schon den Ernstfall probte!
Vivienne