Ungläubig beobachtete ich unseren Kater Stocki, wie er zusammengekauert in einer Ecke der Küche saß und einen etwas unglücklichen Eindruck auf mich machte. Mein Bruder hatte ihn vor einer halben Stunde aus dem Garten hereingeholt – Stocki war dort teilnahmslos neben den Rosen gehockt und hatte das muntere Treiben der Vögel ganz gegen seine sonstige Gewohnheit völlig ignoriert. So ein herrlicher Sommertag, aber Stocki schien keine Notiz davon zu nehmen. Noch mehr Sorgen machte mir, dass er nichts fraß und nur ein wenig Wasser leckte – er schien keinen Appetit zu haben. War unser roter Kater wirklich krank? Ich rief mir Minki, seine vor zwei Jahren verstorbene Mutter in Erinnerung. Minki hatte vor acht oder neun Jahren an der Katzenseuche laboriert, konnte aber dank des Eingreifens unseres Tierarztes gerettet werden. Minki wollte damals auch nichts fressen und hatte sich zunehmend im Garten verkrochen, als wollte sie uns aus dem Weg gehen…
„Stocki!“ Mein Bruder gesellte sich zu mir und streichelte den Kater zärtlich. Der rollte sich auf den Rücken und zeigte ihm seinen hellen Bauch. „Er schnurrt ein wenig“, stellte mein Bruder fest. „… aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Glaubst du, dass er ernsthaft krank ist?“ Ich zuckte die Achseln. Ich konnte mir keinen Reim auf Stockis Verhalten machen und seine Appetitlosigkeit gefiel mir nicht. Ausgerechnet unser Stocki, der nie genug Futter haben konnte, ließ seine Leckerli links liegen… Am nächsten Morgen weckte mich mein Bruder ganz nervös auf. „Du wirst es nicht glauben!“ überfiel er mich mit einem Wortschwall. „Stocki, er hat heute morgen eine Maus gefangen. Und dann hat er sie aufgefressen, mit Haut und Haaren. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er geschnurrt hat. Er war wirklich zum Anbeißen süß!“
Ich rieb mir die Augen, etwas erstaunt, aber wenn dem so war, dann musste unser Kater wieder auf dem Weg der Besserung sein. Gestern Abend war ich noch überzeugt gewesen, ich müsste ihn zum Tierarzt bringen, aber Stocki schien sich anscheinend langsam wieder zu fangen. Als ich später das Haus verließ, schnatterte mich Stocki in typischer Katzenmanier an, als ich an ihm vorüberging. Ich musterte ihn, während ich ihm den Nacken kraulte. Krank sah Stocki nicht unbedingt aus, andererseits schnurrte er aber auch kaum oder nur sehr leise. Ob Stocki etwas über die Leber gelaufen war? Hatte ihn vielleicht jemand eingesperrt oder gar geprügelt? Ich legte die Stirn in Falten. Einige der Nachbarn hatten auch Hunde. Ob einer der großen Vierpfoter unseren roten Kater vielleicht gequält hatte…?
Stocki konnte nicht reden, das heißt, seine Sprache konnte ich nicht verstehen. Aber Stocki ignorierte weiter das gewohnte Futter und trank nur Wasser. Mittlerweile kam er auch öfter wieder von selber ins Haus und setzte sich auch auf den Rauchersessel meines Vaters. Er kam mir fast ein wenig traurig vor, und wer ihn kannte, gab mir Recht. Stocki hatte den Blues, ganz zweifellos, und ich war mir schließlich sicher: der Kater musste ein schlimmes Erlebnis hinter sich haben… Wenn ich ihm nur helfen hätte können! Aber Psychiater für Katzen gibt es nicht und wir konnten nur hoffen, dass Stocki mit der Sache wieder fertig wurde. Es schmerzte, den Kater so leiden zu sehen, ohne dass ihm körperlich etwas weh tat…
Fast eine Woche schlich der rote Stocki mehr oder weniger wie ein geprügelter Hund und sehr lethargisch durch das Haus und durch den Garten. Bis quasi über Nacht ein Ruck durch seinen Körper ging – und durch sein Gemüt. Am Morgen fand ich Stocki vor, wie er gierig wie eh und je aus seinem Futternapf fraß und er machte einen gesunden Eindruck wie lange nicht. Er begrüßte mich dann mit zärtlichem Schnurren und strich um meine Beine. Das hatte er lange nicht getan, und fast wie in seinen besten Zeiten nahm er mit einem eleganten Satz mitten auf dem Rauchersessel meines Vaters Platz, als würde er ihm, dem Kater, gehören und dann begann er sich ausgiebig zu putzen. Eine halbe Stunde später lag der Kater eingerollt da und atmete gleichmäßig und ruhig. Ich nickte, dem Kater schien es endlich wieder gut zu gehen. Was immer ihm über die Leber gelaufen war, er hatte es wieder überwunden….
(C) Vivienne