Susi – fast ein Jahr war es mittlerweile schon wieder her, dass die kleine weiß-getigerte Katze verschwunden war. Fast ein Jahr schon wieder, und manchmal vermisste ich sie noch immer. Selbst in meiner Linzer Wohnung schweiften meine Gedanken bisweilen um die schnurrige wie sehr unvorsichtige Katze und ich grübelte öfter, was wohl aus ihr geworden war… Aber seit Oktober passierte das weniger oft. Der Grund war ein kleiner Kater, rötlich-braun getigert mit weißen Pfoten und, falls das überhaupt möglich war, noch schnurriger und süßer als die kleine Susi. Unseren alteingesessenen Kater Stocki brachte der Kleine schon genauso geübt zur Verzweiflung wie die seelige Susi, aber sein Charme war noch viel umwerfender… Es scheint übertrieben, wenn ich das sage, aber meine Eltern meinten übereinstimmend, Petit hätte sich von Anfang an so verhalten, als hätte er immer schon hier her gehört…
Von Anfang an – meine Schwester Gitti hatte den Charmebolzen auf vier Pfoten zu uns gebracht – er und sein kleiner Bruder hätten eigentlich sterben müssen, aber das hatte sie zu verhindern gewusst. Sie und ihre Familie behielten den Katzenbruder während der kleine Petit – so hatte ich ihn spontan getauft – bei meinen Eltern das Regiment angetreten hatte. Das durfte man durchaus wörtlich so verstehen, da Kater Stocki, mittlerweile ein Kater im gesetzten Alter, mit seinem jungen Rivalen überhaupt nicht fertig wurde. So oft konnten die beiden ungleichen Gegner gar nicht miteinander raufen – und Stocki konnte nach anfänglichem Zögern durchaus grob zu Petit werden – aber gegen die Spritzigkeit und die Energie des kleinen Dunkelroten war er machtlos: Petit ließ sich nämlich nie entmutigen und wagte immer wieder einen neuerlichen Angriff und zog dem alten Kater damit manchmal durchaus den Nerv. Stocki zog sich dann meistens beleidigt zurück oder verließ schmollend das Haus…
Es kam allerdings durchaus auch vor, dass die beiden eine ganze Nacht lang einträglich nebeneinander auf dem Ohrsessel im Raucherstüberl meines Vaters schliefen und sich nicht bekriegten. Ganz im Gegenteil. Das passierte speziell dann, wenn der kleine Petit nach einem langen, ereignisreichen Tag zu müde war um noch zu spielen oder zu jagen… Und Stocki war im Grunde gar nicht so ungesellig wie man annehmen hätte können. Natürlich hatten ihn die letzten Jahre zum Einzelgänger gemacht, andererseits hätte er Petit nie von sich aus attackiert oder gar verletzt. Ich fragte mich manchmal, ob sich Stocki noch erinnern konnte, dass er vor bald dreizehn Jahren genauso verspielt und umtriebig mit seinen Geschwistern durch unser Haus getobt war. Vermutlich nicht, aber wenn ich Petit zusah, wie er manchmal auf allen Vieren gleichzeitig in die Luft sprang oder in den Kaminofen im Wohnzimmer klettern wollte, musste ich oft an unseren Stocki und seine Kindertage denken…
Petit hatte mein Herz im Sturm erobert und etwas in seiner ganzen Art schien mir zu bestätigen, dass er besser zu uns passte als die kleine Susi. Sein treuherziger Blick, seine entzückende dünne Stimme, wenn er mich zärtlich anschnurrte und sein schlanker Körper, der am Bauch so unglaublich zu einer Kugel ausgebeult war – und doch all das allein konnte wohl dieses Gefühl nicht schüren… Ich musste immer verhalten grinsen, wenn ich bei meinen Besuchen beobachten konnte, wie Petit an den Beinen meiner Mutter hochzuklettern versuchte. Meine Mutter geriet dann immer in Panik, aber es passierte natürlich nie etwas. Aber der Anblick war echt zu komisch und ich fand es dann echt schade, wenn mein Vater meiner Mutter zu Hilfe eilte und den kleinen Kater zu seinem Futternapf beförderte – in ein paar Monaten würde sich Petit diese „Unart“ wieder abgewöhnen und dafür jungen Katzendamen nachstreunen, und das umso emsiger…
Zur Zeit halten meine Eltern den kleinen Kater noch im Haus – da wir vermuten, dass Susi von einem Auto überfahren worden ist, wollen sie noch abwarten, bis er mit dem Straßenverkehr vertraut werden soll. Was den dunkelroten Tiger aber nicht davon abhält, jede Chance zu nutzen, um aus dem Haus zu laufen. Im Gegensatz zu Susi lässt sich Petit aber recht leicht wieder einfangen. Er ist halt doch noch recht klein und das kühle Wetter weckt seine Bereitschaft, wieder ins Haus zurückzukehren, wo er seine warmen, kuscheligen Plätzchen weiß. Einmal holte ich ihn selber wieder herein und bezahlte meine Rettungsaktion an einem regnerischen Abend mit einer Reihe von schmutzigen Pfotenabdrücken auf meinem Pullover… soll nichts Schlimmeres geben!
(C) Vivienne