Die Maus, die brüllte!

Damit meine ich aber nicht jenen bekannten Film mit Peter Sellers in einer, pardon, richtig, in mehreren Hauptrollen. Hand auf’s Herz, liebe Leser, haben Sie schon einmal zugesehen, wie Ihre Katze oder Ihr Kater eine Maus gefangen hat? Ich hatte einmal das Glück, und glauben Sie mir, dieses schrecklich schöne Schauspiel hat es in sich. Wobei für mich vor allem überraschend war, dass die Lautpalette einer Maus sich nicht auf’s sprichwörtliche Piepsen beschränkt. Wenn es darauf ankommt, kann eine Maus eine ungeahnte Lautstärke entwickeln.

Sommer, vor ein paar Jahren. Ein unheimlich schwüler Tag ging zu Ende. Ein Gewitter lag unverkennbar in der Luft, vor unserem Haus hatte sich der Himmel bereits verdunkelt. Ein paar Donner grollten immer wieder vereinzelt, einige Quellwolken bedeckten schon teilweise die Sonne, die fast etwas betreten dazwischen hervorblinzelte. Ein leichter Wind kam auf, und die Luft war auf einmal nicht mehr so drückend. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und setzte mich vor’s Haus um auf das Gewitter zu warten.

Ich liebe Gewitter, muss ich dazu anführen, weil ich beim Zweikampf der Elemente selber auch sehr gut Spannungen oder negativen Stress abbauen kann. Die frische Brise tat gut und ich konnte sehr schön beobachten, wie die Vögel nach und nach zu zwitschern aufhörten. Ein untrügliches Anzeichen, dass das Unwetter bald losgehen würde. Wie zur Bestätigung tauchte unsere Minki ganz plötzlich neben mir auf, umschmeichelte mich und rieb ihren Kopf an meinen Beinen. Ganz klar, sie wollte noch vor dem Regen ins Haus.

Ich öffnete ihr die Tür und blickte um mich. Wo war nur Stocki? Merkwürdig, dass er noch nicht um Einlass begehrte. Oder, überlegte ich, war er wieder bei den Nachbarn in derselben Straße untergetaucht, von denen er sich bisweilen ganz gern verwöhnen ließ? Ich schmunzelte bei dem Gedanken daran, als ich, von einem merkwürdigen Geräusch irritiert, inne hielt. Was war das für ein seltsamer Ton, der da an mein Ohr drang? So was hatte ich doch noch nie gehört. Nein, vom Garten kam das nicht, es klang eher so, als ließe sich der Laut im nahen Feld lokalisieren.

Ich trat auf die Straße und musterte den Feldrain als ich plötzlich halb verdeckt von den hohen Halmen Stocki erkennen konnte. Stocki schien mich aber im Gegensatz zu seiner sonstigen Zutraulichkeit überhaupt nicht zu bemerken, ganz im Gegenteil. Er fixierte irgendetwas im Gras vor ihm, sein ganzer Körper in gebückter Haltung war jeder Zoll angespannt, sein Schweif stand kerzengerade in die Höhe. Um ehrlich zu sein, ich begriff nicht gleich, welche Szene sich da vor meinen Augen abspielte, bis ich das kleine winzige Etwas im Visier hatte, dass mein Kater, der wie ein Raubtier auf mich wirkte, unverwandt anstarrte, dass einem fast das Blut in den Adern gefror:

Keine zwei Meter vor dem Kater befand sich nämlich eine kleine Feldmaus. Sie war völlig starr, wie paralysiert von einer Kobra, und konnte sich nicht bewegen. Das einzige, zu dem sie fähig war, war dieses Schreien, dass ich schon die ganze Zeit gehört hatte, aber nicht zuordnen hatte können. Die Maus brüllte oder schrie vor Todesangst wie am Spieß und ich war bei aller Faszination doch betroffen, welch laute Töne eine Maus in großer Gefahr hervorbringt. Ich konnte mich von dieser Jagdszene nicht lösen, so interessiert war ich nun, ob bzw. wie mein Kater diese Maus zur Strecke bringen würde.

Wenn Sie jetzt glauben, dass diese Jagd etliche Minuten dauerte, dann irren Sie sich. Dieser Eindruck täuscht, denn in Wirklichkeit dauerte er vielleicht eine Minute. Die zu tiefst geängstigte und gleichzeitig dumme Maus schreit weiter anstatt fortzulaufen, dachte ich noch bei mir, als Stocki ansatzlos einen athletischen Satz machte und die Maus packte und zubiss. Der Schrei verstummte augenblicklich. Gleich darauf lief Stocki, mit seiner Beute im Maul, zu mir und ließ sich streicheln. Er war ja so stolz auf sich selber und wollte deswegen unbedingt gelobt werden, am besten in Streicheleinheiten.

Ich koste den Kater also ordentlich, während ich darauf achtete, dass ich mit der heftig blutenden Maus, die er nicht loslassen wollte, nicht in Kontakt kam. Mir grauste nämlich etwas davor. Nach einigen Minuten hatte Stocki genug von den Zärtlichkeiten, etwa einen Meter hinter mir ließ er sich nieder und begann die Maus zu verspeisen. Ich, die ich noch immer auf das Gewitter wartete, spürte leichten Ekel in mir aufkommen, als ich das Geräusch der knackenden Knochen so dicht neben mir hörte. War ja immer recht brav, wenn er Mäuse erjagte, aber verzehren brauchte er sie nicht unbedingt neben mir.

Ein winziger Blutflecken auf der Erde zeigte mir noch, wo der Kater seinen Festschmaus gehabt hatte, als plötzlich starker Regen einsetzte. Der Wind war in einen heftigen Sturmwind übergegangen und helle Blitze zuckten über den düsteren Nachmittagshimmel. Stocki sprang auf und miaute mich lautstark an, ihn ins Haus zu lassen. Ich selber ließ mir noch Zeit, es war gar nicht kalt, und ich genoss die Dusche im warmen Gewitterregen. Meine Haare tropften, während ich für ein paar Momente eins mit den Elementen war. Ich blickte um mich – der kleine Blutfleck war weggewaschen worden. Nichts mehr war übrig von dieser Maus, die vor 15 Minuten noch gelebt hatte, gar nichts – außer meiner Erinnerung an ihr „Brüllen“ in Todesangst, nachdem mein Kater sie als Abendessen ausersehen hatte.

Vivienne

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